Geschlechterinklusive Sprache und ihre Herausforderungen
Was geschlechterinklusive Sprache wirklich mit sich bringt
Der Trend in Richtung geschlechterinklusive Sprache entsprang der angelsächsischen Kultur. Im Englischen ist sie heute grösstenteils eingeführt und etabliert.
Aber nicht alle Sprachen sind gleichermassen geeignet, geschlechterinklusive Sprache umzusetzen. Im Folgenden versuche ich aufzuzeigen, wie Regelungen zu geschlechterinklusiver Sprache in anderen Sprachen umgesetzt werden und zu welchen Verrenkungen dies führt. Insbesondere im Deutschen.
Englisch als der Prototyp
In der englischen Sprache ist geschlechterinklusive Sprache kein Novum. Die Übernahme von geschlechtsneutraler Sprache ist einfach, weil Englisch kein grammatikalisches Geschlecht für Objekte und Tiere kennt. Nur Menschen wird ein grammatikalisches Geschlecht zugeschrieben, welches auf dem biologischen Geschlecht basiert. Aber auch Begriffe, die sich auf Menschen beziehen, sind meist nicht geschlechtsspezifisch, denn im Englischen sind Begriffe wie «student», «pilot», «American», oder «politician» geschlechtsneutral – vergleichbar mit dem generischen Maskulinum des Deutschen. Sie schliessen dementsprechend alle Geschlechter mit ein. Spezifisch feminine Wörter, die sich ausdrücklich auf Frauen beziehen, wie «actress» («Schauspielerin») oder «duchess» («Herzogin») sind selten. Auch das Ersetzen von «Gattin» und «Gatte» mit dem geschlechtsneutralen «spouse», was so viel wie «Ehepartner» bedeutet, ist einfach.
Auch die Anpassung der englischen Pronomen ist einfach. Das Pluralpronomen der dritten Person «they» erhielt seine geschlechtsneutrale Bedeutung schon vor sechs Jahrhunderten, und da es bereits zuvor Teil der englischen Kerngrammatik gewesen war, war diese neue, singuläre Bedeutung einfach zu übernehmen.
Im Englischen kann geschlechterinklusive Sprache also pragmatisch und ohne grössere Anstrengung implementiert werden.
In Sprachen, die zusätzlich zu Pronomen auch Nomen, Artikel und Adjektive nach Geschlecht einteilen, ist die Herausforderung grösser. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn eine Sprache Konkordanzregeln folgt. Diese verlangen, dass nicht nur ein individuelles Wort, sondern alle dazugehörigen Wörter, die sich auf denselben Referenten beziehen, mit dem gleichen Geschlecht markiert werden.
Die romanischen Sprachen und die Allgegenwärtigkeit der Geschlechter
Die romanischen Sprachen fallen in diese Kategorie. Wenn sie den geschlechterinklusiven Prinzipien nach englischem Vorbild folgen wollen, müssen sie neue Formen einführen, um die Markierung des Geschlechts auf Nomen, Artikeln und Pronomen zu umgehen.
Im Spanischen enden feminine Nomen und Adjektive oft auf den Vokal «a» und maskuline auf «o». Um diese Zweiteilung zu vermeiden, wenn es um Menschen geht, wurde der Vokal «e» als geschlechtsneutrale Form vorgeschlagen, also «les niñes» anstatt «los niños» für «die Kinder». Als geschlechtsneutrales Pronomen wurden “el” und “ella” in “elle” zusammengefügt, also ein neues Pronomen kreiert. Gemäss diesem Prinzip wurde auch im Portugiesischen «elu» und im Französischen «iel» erschaffen. Nur das italienische «loro», das dem englischen «they» entspricht», war bereits zuvor so in der Grammatik vorhanden und soll jetzt auch als Singular gelten.
Diese Regeln scheinen von aussen für diejenigen, die die Sprache erlernen möchten, überschaubar. Für Muttersprachler hingegen sind sie schwierig umzusetzen, da das grammatikalische Geschlecht in allen Bereichen der Sprache und zu jeder Zeit präsent ist. Geschlechterinklusive Sprache in romanischen Sprachen ist darum eine grosse Herausforderung.
Deutsch ist eine Liga für sich
Auch wenn das Deutsche als germanische Sprache dem Englischen näher ist, ist die Herausforderung der geschlechterinklusiven Sprache hier noch grösser. Im Deutschen hat jedes Nomen eines von drei grammatikalischen Geschlechtern: Maskulinum, Femininum oder Neutrum.
Bei Objekten scheint die Verteilung des grammatikalischen Geschlechts zufällig zu sein; so heisst es beispielsweise «die Tür», «der Boden» und «das Fenster». Bei Menschen folgt die Verteilung grösstenteils dem biologischen Geschlecht. Bei Männern wird das Maskulinum und bei Frauen das Femininum verwendet. Bei Kindern hingegen verwendet man das Neutrum, wie auch bei allen Verkleinerungsformen, wie beispielsweise bei «Mädchen», der Verkleinerungsform von «Magd». Bisher wurde die maskuline Form – eben das sogenannte «generische Maskulinum» – gebraucht, um sowohl männliche als auch weibliche Personen mit einzubeziehen.
Die geschlechterinklusive Sprache ist dabei, das generische Maskulinum abzuschaffen. Zuerst wurden Paarformen wie «Leserin und Leser» etabliert. Da solche Lösungen aber meist wortreich sind, wurden kürzere graphische Darstellungen vorgeschlagen, wie «LeserIn», «Leser/in» oder «Leser:in». Dies soll den expliziten Einschluss von männlichen und weiblichen Personen in einem einzigen geschriebenen Wort ermöglichen. In der gesprochenen Sprache werden diese Zeichen mit einem sogenannten Glottisschlag wiedergegeben, also mit einer kurzen Pause und schnellen Schliessung der Glottis vor der femininen Endung – in Deutschland ist dieser Laut übrigens Teil der Standardsprache, während er im Schweizerdeutschen kaum existiert.
Doch das ist noch nicht das Ende der Geschichte. Denn da Paarformen non-binäre Personen nicht explizit einschliessen, wurde ein weiteres Symbol dafür vorgeschlagen: der Asterisk *, das sogenannte Gendersternchen. Der geschlechterinklusive Genderstern soll alle Geschlechter, auch non-binäre, repräsentieren. Er wird zwischen der maskulinen und der femininen Endung eingefügt, wie in «Leser*in». Zuvor war die Funktion des Asterisks, ungrammatische oder angenommene Formen zu kennzeichnen.
Auf Kosten der Präzision
Solche graphischen Lösungen bringen grosse Herausforderungen mit sich, denn im Deutschen werden Nomen, Adjektive und Artikel auch nach Fall dekliniert. Ein maskulines Nomen, das im Genitiv steht, braucht ein zusätzliches «s» am Ende; feminine Nomen hingegen nicht immer. Darum wird bei geschlechterinklusiven Genitiven nur noch der Artikel mit der richtigen Endung versehen. Dies bedeutet, dass geschlechterinklusive Formen nicht gleichzeitig die grammatikalische Information und geschlechtergerechte Ansätze repräsentieren können. Ihre geschriebene Form unterscheidet sich dann stark von der Standardsprache, wie zum Beispiel in «des/r Leser*in».
Wenn grammatikalische Informationen verloren gehen, verliert die Sprache an Präzision.
Es überrascht darum nicht, dass nur wenige Sprecher diese Formen konsistent einsetzen können. Dadurch werden viele Dokumente und E-Mails zu einem Flickenteppich an Formen. Dies wiederum stellt Personen, die nicht viel Übung im Lesen haben oder mit inhaltsbepackten Texten arbeiten, vor Herausforderungen.
Zusätzlich sind einige Begriffe so stark verändert worden, dass sie unpräzise geworden sind. So hat zum Beispiel das Wort «Mitarbeitende», also «mitarbeitende Personen», die Form «Mitarbeiter» weitestgehend ersetzt. Dies funktioniert meistens gut mit unabhängigen Nomen, ist aber bei Komposita, die auf das generische Maskulinum gestützt sind, nicht konsistent möglich: die «Mitarbeiterzufriedenheit» beruht weiterhin auf dem generisch maskulinen «Mitarbeiter». Ebenso sind Wörter, die neu als geschlechterinklusiv gelten, weniger präzise. Das Wort «Lernende» zum Beispiel soll alle einschliessen, die sich im Lernprozess befinden (also auch lebenslang Lernende), was nicht mehr angibt, um welche Art von Lernprozess oder Studiengang es dabei geht.
Klingt das verwirrend? Dann atmen Sie einmal tief durch. Denn Pronomen sind noch komplizierter.
Wie in den romanischen Sprachen ist auch im Deutschen ein geschlechterinklusives Pronomen vorgeschlagen worden: «hen». Es soll also eine vierte Kategorie hinzukommen. Und da im Deutschen Genitive und Dative mit «s» und «m» markiert werden, gibt es entsprechend auch «hens» und «hem».
Im Deutschen werden aber nicht nur Personalpronomen nach Geschlecht und Fall dekliniert, sondern auch andere Pronomen. Possessivpronomen zum Beispiel. Bei den Possessivpronomen wird nicht nur das Geschlecht des Besitzers, sondern auch dasjenige des Besessenen nach Fall markiert. Folglich wird beim weiblichen Besitzer eines Hundes nicht dasselbe Pronomen eingesetzt wie beim männlichen Besitzer desselben Hundes. Konkret sagt man bei Ersterem «ihr Hund» und bei Letzterem «sein Hund». Und bei einer Katze haben wir entsprechend die Formen «ihre Katze» und «seine Katze».
Es gibt auch Kreationen für indefinite Pronomen. Die Details dazu erspare ich Ihnen aber.
Es wird bereits so klar, dass geschlechterinklusive Regeln in Sprachen, die grammatikalische Geschlechter unterscheiden, einen tiefgehenden Eingriff mit sich bringen, der den Kern der Grammatik verändert. Muttersprachler müssten neue Wörter und Regeln in gesprochener und geschriebener Sprache lernen, die einer Entwurzelung gleichkämen. Und es würde gewisse Sprechergruppen stark benachteiligen, insbesondere diejenigen mit kognitiven Einschränkungen.
Dazu kommt, dass diese Umstellung auf Kosten der Präzision geschieht. Denn die vorgeschlagenen Lösungen sind weniger spezifisch und darum ein Hindernis für klare Kommunikation und gegenseitiges Verstehen.
Und vergessen wir nicht, dass dies alles in Zeiten grossflächiger Digitalisierung durchgeführt werden soll, bei der die digitale Kommunikation an sich bereits grosse Herausforderungen mit sich bringt.
Den Weg durch das Wirrwarr finden
Was also können Sie konkret tun?
Sie werden Ihre eigene Position definieren müssen. Universitäten reihum haben die meisten dieser Regeln implementiert. Regierungen haben je nach Landessprachen individuelle Regeln eingeführt. Die USA haben zum Beispiel zusätzlich zur geschlechtergerechten Sprache auch die Selbstzuschreibung von Pronomen eingeführt, während andere Länder wie Frankreich und die Schweiz zögern.
Firmen vollführen dabei einen Drahtseilakt auf der Suche nach einer praktikablen Lösung. Ich empfehle ihnen, individuelle Lösungen zu finden, die keinen Kahlschlag in der Sprache voraussetzen.
Worte können nicht alle gesellschaftlichen Probleme beheben. Vielmehr sind wir gerade dabei, neue zu kreieren.
Über die Autorin
Danae Perez ist eine vielseitige Sprachexpertin mit langjähriger Erfahrung in Forschung und Privatwirtschaft und einer ansteckenden Leidenschaft für Menschen und Sprachen. Sie ist promovierte Sprachwissenschaftlerin und hat ihre Forschung über Sprachwandel in mehrsprachigen Kontexten bei den renommiertesten Verlagen publiziert. Seit fast zwei Jahrzehnten bietet Danae Perez Sprachdienstleistungen und Beratung für Kunden und hat in einer Vielzahl von Ländern, Kulturen und Sektoren gearbeitet. Sie hat die seltene Gabe, die Essenz einer Nachricht schnell zu verstehen und sie in die richtigen Worte zu fassen. Dadurch gelingt es ihr, die Kommunikation zwischen unterschiedlichen Menschen, Kulturen und Disziplinen zu vereinfachen.